Váli ist der Sohn Odins und der Rinda und der Rächer Balders. Er wird als tapfer im Kampf und als guter Bogenschütze beschrieben (Gylf. 30). Das und die vermutete Beziehung zum Frühling könnten
darauf hindeuten, dass sein römisches Pendant Apollon ist (Dahn).
Die Deutung seines Namens bringt Schwierigkeiten mit sich und ist nicht abschließend geklärt. Vielleicht heißt Váli — von „wanilo” kommend — so viel wie „der Kleine der Vanen” oder
„kleiner Kämpfer” (Chiesa Isnardi u.a.), Nordenstreng formulierte die These, der Name stamme aus dem Urnordischen „waihalaR”, „der Streitbare”. Simek verwirft beide Theorien und bietet
keinen Lösungsvorschlag an.
Snorri nennt außerdem den Namen Áli als Alternative („Áli oder Váli heißt ein anderer …”, Gylf. 30), Chiesa Isnardi verweist jedoch darauf, dass Váli und Áli in den Thulur zwei verschiedene
Charaktere zu sein scheinen.
Als einen weiteren möglichen Namen erwähnt Golther Ran, der im Grógaldr 6 genannt wird: „þann gól Rindi Rani” („Es sang Rind dem Ran”).
Mit Váli, der als Lokis Sohn genannt wird, hat Odins Sohn Váli nichts zu tun.
Balders Tod
Die Sage erzählt, dass Odin von einer Seherin prophezeit wurde, dass Balder sterben würde und nur Rinda aus den Westsälen Odin einen Erben gebären könne, der imstande sei, Balder zu rächen. Váli
ist gerade eine Nacht alt (einnættr), als er seine Aufgabe erfüllt, in Saxo Grammaticus' Gesta Danorum (wo das Alter nicht erwähnt wird), erliegt er anschließend seinen Wunden.
Grimm wie auch Golther erwähnen, dass Göttersöhne im Vergleich zu Menschensöhnen häufig schneller wachsen: „Menschensöhne wachsen langsam und allmählich auf, Götter erlangen gleich nach der
Geburt völlige Größe und Stärke.” (Grimm, S. 262) Ähnliches gilt nämlich auch für Thors Sohn Magni, der, nur drei Nächte alt, den gestürzten Riesen Hrungnir von seinem Vater herunterzieht (vgl.
Golther S. 248).
Sowohl in der Völuspá als auch in Baldrs draumar heißt es, Váli wasche sich vor seiner Tat weder die Hände, noch kämme er sich das Haar (Völuspá: „Þó hann æva hendr né höfuð kembði”,
Baldrs draumar: „hǫnd of þvær né hǫfuð kembir”). Grimm erkennt darin eine weitere Parallele zum griechisch-römischen Apollon: „Hier ist das Zusammentreffen von ά άερσεόμης mit dem
eddischen ne höfuð kembr nicht zu übersehen.” (Grimm, S.262-3) Griechisch ά άερσεόμης („acersecomes”) bedeutet so viel wie „mit ungeschnittenem Haar” (Hellenic Gods).
„Wie auch Nägel sind Haare ein Teil des menschlichen Körpers, der nach dem Tod keinen Prozess von Verderben und Verwesung durchlebt. Das und ihr konstantes
Wachstum machen aus ihnen ein Symbol eines Elementes, das dem Verfall entflieht und besondere Eigenschaften besitzt. Sie sind Manifestation der Lebensenergien des Menschen, wie die Bäume es für
die Erde sind. Daran erinnern die Mythen der Weltenschöpfung, wo der Körper des vorzeitlichen Riesen Ymir geopfert wird, um die Erde zu erschaffen: Tatsächlich sind die Bäume aus seinem Schopf
gewonnen. […]
Die Tradition, auch an vielen anderen Orten belegt, Schnitt und jedwede Haarpflege während eines besonderen Zeitraums zu verweigern, der mit einer Abwesenheit
oder einem Schwur zu tun hat, ist auch dort vorhanden, wo man sagt, dass Váli sich weder die Hände wasche noch die Haare kämme, bis er nicht seinen Bruder Baldr gerächt habe. Dies findet sich
auch in der Geschichte von König Harald, genannt Schönhaar (hárfagr). Von ihm sagt man, dass er, als er ein erhabenes Mädchen heiraten wollte und dieses erwiderte, nur einen wahren König haben zu
wollen, auf ihre Ablehnung mit den folgenden Worten reagiert habe: „Diesen Schwur mache ich, dass ich mir die Haare weder schneiden noch kämmen werde, bis ich nicht über ganz Norwegen
herrsche.”
Chiesa Isnardi, S. 602 (übersetzt nach Eichenstamm)
Nennenswert sind in diesem Zusammenhang die vier Runeninschriften des Älteren Futharks auf Kämmen. Man kann wohl davon ausgehen, dass diese Inschriften in keinster Weise banal, sondern wichtig genug waren, um in einer Zeit, in der das Schreiben noch alles andere als alltäglich war, in Kämme geritzt zu werden. Dies betrifft die folgenden Funde:
- Kamm von Frienstedt (Deutschland, 260-290 n. Chr.)
- Kamm von Lauchheim (Deutschland, 510-590 n. Chr.)
- Kamm von Setre (Norwegen, 560-790 n. Chr.)
- Kamm von Vimose (Dänemark, 140-106 n. Chr.)
Die Inschrift des Kammes vom Frienstedt lautet passenderweise kaba, also „Kamm”, auch bei der Inschrift von Vimose harja sprechen sich Aage Kabell und Elmar Seebold wider der
wissenschaftlichen Mehrheit für eine Deutung in Bezug auf Haare aus (Kabell: „das zu den Haaren gehörige = Kamm”, Seebold: „Kamm”) (vgl. Runenprojekt Kiel).
Vális Mutter: Rind
Zur Deutung von Vális Rolle scheint eine Betrachtung seiner Mutter Rind unumgänglich. Für weitere Informationen siehe auch unter Rind.
Wie bei Váli ist auch bei Rind nicht abschließend geklärt, was ihr Name heißt. Eventuell stammt er von vrindr, „Efeu”, ab (Chiesa Isnardi), Dahn dagegen deutet ihn als „winterliche
Erdrinde”. Grimm leitet ihn auf das althochdeutsche rinta und das angelsächsische rind zurück, was er mit cortex (Baumrinde) übersetzt.
Rind gebärt Váli in den Westsälen („Rindr berr Vála í vestrsǫlum”, Baldrs draumar 11). Der Himmelsrichtung des Westens weist Chiesa Isnardi große Bedeutung zu. Der Westen ist der Punkt,
wo das Licht überwältigt wird und die Sonne ihren Weg ins Dunkel beginnt. Hier fängt der Weg zu seinen eigenen dunklen Wurzeln am. Helgi geht in diese Richtung, um ins Reich der Toten zu
gelangen; ein Wolf hängt über dem westlichen Tor Valhalls.
„Der Mythos erinnert auch daran, dass Váli, der geboren wurde, um den Tod Balders, Gott des Licht, zu rächen, in den Westsälen gezeugt wurde: Er kennt also von
Anfang an jedes Geheimnis der Kräfte der Dunkelheit, deren Feind er ist. Váli wird im Alter von nur einer einzigen Nacht kämpfen, da er in dieser bereits perfekt seinen Weg der Initiation beendet
hat.”
Chiesa Isnardi, S. 475 (übersetzt nach Eichenstamm)
Nachdem Odin erfährt, dass einzig Rind ihm den Sohn schenken kann, der Balders Tod rächen wird, sucht er die junge Maid auf. Vier Verkleidungen probiert er aus, dreimal scheitert er: Rind weist
ihn brüsk ab. Erst beim vierten Mal, Odin erscheint als heilkundige Frau Vecha, gelingt es ihm. Er diagnostiziert bei Rind eine schlimme Krankheit, die er ihr selbst zuvor mit einem verzauberten
Runenstab („gambantein”) zufügte, und die nur mit so harter Kur geheilt werden kann, dass Rinds Vater sie ihm gefesselt übergibt. Auf diese Weise wehrlos gemacht, vergewaltigt Odin sie
und zeugt Váli (Dahn, Simek).
Dahn deutet darin einen Mythos zur Rückkehr des Frühlings (S. 153):
„Rinda ist die winterliche Erdrinde: nach des Lichtgottes Baldur Tod ist die Erde dem wohltätigen Himmelsgott Odin entrückt. Vergebens bemüht dieser sich, sie für sich zu gewinnen: […] die Erde, die dem Liebesleben abgesagt, weist dreimal heftig den Freier zurück: die Versuche, des Winters Herrschaft zu brechen, scheitern. Da verflucht der Lebensgott für immer, dem Wintertode verfallen zu sein, falls sie ihn nicht erhöre […] und zwingt die immer noch Widerstrebende zuletzt mit Gewalt, sich dem Sieger zu ergeben und die Mutter zu werden des neuen Frühlings. […] Vali ist das wiederkehrende Licht, welches zur Zeit der Wintersonnenwende die Tötung Baldurs, der in der Sommersonnenwende stirbt, an dem blinden Hödur rächt.”
Váli war der Monat Liosberi, der Lichtbringer, geweiht, der vom 19. Januar bis zum 18. Februar andauerte. In diese Zeit fällt laut Volksglauben die Paarungszeit der Vögel und „auch die jungen
Leute wählten oder erlosten für das kommende Jahr, halb im Scherz, halb im Ernst, ihren Schatz”. Der Valentinstag fällt genau in diese Zeit und es wäre denkbar, dass Valentin erst an Vális Stelle
getreten ist (Dahn). Ich konnte nicht abschließend klären, wie haltbar diese Theorie ist.
Mehrere Forscher sprechen sich für eine Bedeutung Vális als Fruchtbarkeitsgott aus, da in Saxos Bericht von Rinds Umwerbung und Hödurs Tötung Váli den Namen Bous trägt, wobei es sich wohl um eine
lateinisierte Form vom dänischen Bo (altnordisch Búi) handelt. Es wird recht einheitlich mit „Bauer” übersetzt (Chiesa Isnardi, Simek). Schröder und de Vries ziehen eine Verbindung zu einem
Schutzgeist der Fruchtbarkeit namens Boui, dessen Strohbildnis während der Geburt angerufen wurde, Simek hält diese Verwandtschaft für unwahrscheinlich.
Válaskjálf
In der Grímnismál und der Snorra Edda wird ein Göttersitz namens Válaskjálf erwähnt, Snorri bezeichnet ihn als Besitz Odins. Der Name könnte eine Verbindung zu Váli allerdings nahelegen, Chiesa
Isnardi übersetzt ihn als „Fels des Váli”. Bezieht man ihn dagegen auf Odin, könnte es eher der „Fels der aus dem Kampf Auserkorenen” sein (vgl. Val-hall, Val-küren, Val-vater etc.) (Chiesa
Isnardi). In der Grímnismál wird Válaskjálf als uralt und mit Silber gedeckt beschrieben.
Einen Hinweis auf einen möglichen Kult bietet das Toponym des norwegischen Ortes Valaskioll (aus *Valaskiálf). Eventuell kann man davon auf einen norwegischen Válikult schließen. Erwähnenswert
ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass es einen ähnlichen Fall auch für Vális Bruder Vidar gibt: Ein norwegischer Ortsname, Viskjøl (aus *Víðarsskjálf), hat ebenfalls überlebt und spielt
vielleicht auf einen Vidarkult an.
Nach Ragnarök
Váli gehört zu denjenigen Göttern, die nach Ragnarök auf die Erde zurückkehren und das Erbe ihrer Väter fortführen. Grimm schreibt dazu (S. 613):
„Dann nämlich [nach Ragnarök] scheint sich ein Teil der Asen zu erneuen oder zu verjüngen. Baldr und Höðr, die schon lange vor der Götterdämmerung die Unterwelt betreten hatten, Hœnir, der den Vanen als Geisel gegeben worden war, sind in Völuspâ als neu auftauchende Gottheiten genannt; sie drei waren in den Streit mit Surfr nicht verflochten. Snorra Edda 76 gibt hingegen Viðar und Vali an, die von Surtalogi unverletzt auf Iðavöllr das alte Asgarð erneuern, zu ihnen gesellen sich Moði und Magni, aus der Unterwelt Baldr und Höðr, des Hœnir ist hier geschwiegen. Viðar und Vali sind die beiden Rächer, jener rächte Oðins Tod an Fenrisúlfr, dieser Baldrs Tod an Höðr (hefniáss Baldrs dólgr Haðar, Sn. 106). Sie beide und Baldr, der schuldlose, reine Lichtgott sind Oðinssöhne […] Unverkennbar zeigt diese Darstellung, dass Oðinn und Thórr, die Hauptgötter des alten Asgarð, nicht wieder erscheinen, sondern in ihren Söhnen verjüngt werden.”
Golter interpretiert aus dem alleinigen Zweck der Götter Váli und Vidar, Rache zu nehmen, dass sie nicht allzu alt sein können, relativiert diese These in Bezug auf Váli aber etwas, da er das Alter der Sage von Balders Tod einräumt. Er hält es für wahrscheinlich, dass Váli und Vidar erst mit der nordischen Sage vom Untergang der Götter aufkamen.
Weitere Überbleibsel
Grimm erwähnt im Zusammenhang mit dem Volk der Welisungen einen Gott namens Valis beziehungsweise „den altnordischen Vali”, auf welchen diese ihren Namen zurückführen. „Aus der bloßen Fortdauer
des althochdeutschen Welisunc folgt uralte Verbreitung der Völsungasaga selbst.” (Grimm, S. 297) Er setzt also Váli als Namensgeber für die berühmten Völsungen fest.
Der von Dahn angesprochene Monat Liosberi bzw. isländisch ljósberi ist der Name für die Alpen-Lichtnelke. Diese findet sich neben den Alpen einzig in Nordeuropa.
Quellen
Gylf: Gylfaginning der Snorra Edda (Ausgabe: Krause, Arnulf. Die Edda des Snorri Sturluson, Reclam, Stuttgart 1997, S. 40, 46, 78).
Ská: Skáldskapamál der Snorra Edda (Ausgabe: Krause, Arnulf. Die Edda des Snorri Sturluson, Reclam, Stuttgart 1997, S. 81, 91, 106-7).
Bal: Baldrs draumar der Lieder-Edda (übersetzt nach Felix Genzmer, Ausgabe: Diederichs Verlag, München 2006).
Grí: Grímnismál der Lieder-Edda (übersetzt nach Felix Genzmer, Ausgabe: Diederichs Verlag, München 2006).
Grg: Grógaldr der Lieder-Edda (übersetzt nach Felix Genzmer, Ausgabe: Diederichs Verlag, München 2006).
Hyn: Hyndluljóð der Lieder-Edda (übersetzt nach Felix Genzmer, Ausgabe: Diederichs Verlag, München 2006).
Vaf: Vafþrúðnismál der Lieder-Edda (übersetzt nach Felix Genzmer, Ausgabe: Diederichs Verlag, München 2006).
Chiesa Isnardi: Chiesa Isnardi, Gianna. I miti nordici, Longanesi, Mailand 2016 (1991), S. 241-2, 272, 475, 602.
Dahn: Dahn, Felix und Therese. Germanische Götter- und Heldensagen, Marixverlag Wiesbaden 2013, S 153-4.
Golther: Golther, Wolfgang, Germanische Mythologie, Marixverlag, Wiesbaden 2013, S. 248, 475-7.
Grimm: Grimm, Jacob. Deutsche Mythologie, Marixverlag, Wiesbaden 2007, S. 262-3, 297, 613.
Kabell: Kabell, Aage. Harja. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 102, 1973, S. 1-15. Zitiert nach: Runenprojekt
Kiel.
Sebold: Sebold, Elmar. Die sprachliche Deutung und Einordnung der archaischen Runeninschriften. In: Runische Schriftkultur in
kontinental-skandinavischer und -angelsächsischer Wechselbeziehung. Internationales Symposium in der Werner-Reimers-Stiftung vom 24.-27. Juni 1992 in Bad Homburg, (hg.) Düwel, Klaus. Berlin, New
York 1994, S. 56-94. Zitiert nach: Runenprojekt Kiel.
Simek: Simek, Rudolf. Lexikon der germanischen Mythologie, Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1984, S. 53, 331-2, 430-2.
Hellenic Gods: Webseite
von Hellenic Gods, aufgerufen am 01.04.2018 („acersecomes; Gr. ἀκερσεκόμης, ΑΚΕΡΣΕΚΟΜΗΣ) with uncut hair, meaning that the God is forever young. Greek boys kept their hair long until they
became men.”).
Runenprojekt Kiel: Webseite des
Runenprojekts der Uni Kiel, aufgerufen am 01.04.2018.
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Glenn (Samstag, 18 April 2020 00:25)
Super Text, sehr sachlich und interessant geschrieben!
Eichenstamm (Samstag, 18 April 2020 08:30)
Ich danke dir herzlich!