Runen finden sich im gesamtgermanischen Raum, wenn auch jeweils zu etwas unterschiedlichen Zeiten. Dabei kann ihre Reise – zumindest wenn es um das jüngere Futhark geht – teilweise an den Fahrten
der Wikinger nachverfolgt werden. Dies gilt natürlich nur für die losen Gegenstände, die teilweise weit transportiert wurden, während die berühmte skandinavischen Steinsetzungen ortsgebunden
waren.
Sowohl die hunnischen (altungarischen) als auch türkischen »Runen« haben mit den germanischen Runen nichts zu tun.
Geographische Ausbreitung
Da nicht mit letzter Sicherheit geklärt ist, wer genau die Runenschrift entwickelte und woher sie kam (gesichert ist einzig, dass sie wohl aus dem mediterranen Gebiet stammt), kann man nicht
genau sagen, wie sie sich ausbreitete. Mit großer Wahrscheinlichkeit brachte sie ein germanischer Stamm in den Norden.
Es ist auffallend, dass der Großteil der Inschriften des älteren Futharks aus eher südlichen Gebieten des gesamten Fundgebietes stammt. Dazu gehört Deutschland mit etwa 120 Funden (davon knapp 80
allein in Süddeutschland mit starker Häufung im Südwesten), Dänemark mit zirka 140, Norwegen mit knapp 70 und Schweden mit fast 80 Funden, wobei die ältesten Funde überhaupt aus Deutschland und
Dänemark stammen.
Bereits das ältere Futhark hat eine Verbreitung von Frankreich bis in die Ukraine, von Norwegen bis Italien, wenngleich das Zentrum sicherlich in Mitteleuropa (Deutschland und Skandinavien) lag
und insbesondere die osteuropäischen Funde durch die Völkerwanderung erklärt werden können. Allerdings belegt uns noch der gotische Bischof Wulfila Kenntnis der Runen.
Größere Verbeitung fand das jüngere Futhark, allein schon aufgrund der weiten Reisen der Wikinger, welche die Schrift mit sich führten.
»Grönland im Norden und im Westen, Russland im Osten (der Ladoga-See und der Dnjepr bis zur Mündung bilden die östliche Grenze) und Piräus im Süden bezeichnen
den Umkreis der Fundgebiete.«
Düwel, Runenkunde, S. 3
Das angelsächsische Futhorc, das ausschließlich von den Angelsachsen aus Großbritannien verwendet wurde, findet man in den allermeisten Fällen in England (90 von 110 Funde). Die Inschriften
außerhalb lassen sich durch Reisen, vor allem von christlichen Pilgern, erklären (so etwa in Runeninschriften von Monte Sant’Angelo).
In Amerika wurden keine Runeninschriften gefunden, auch wenn mehrfach Fälschungen auftauchten.
Lokalisierung der Funde
Elmar Seebold geht auf die Problematik der Lokalisierung der Runenfunde ein. Bei den losen Gegenständen ist es selbstverständlich, dass Fundort und »sprachliche Lokalisierung« (d.i. die
Sprachform und die Herkunft desjenigen, der die Inschrift angebracht hat) nicht übereinstimmen muss. Eine Spange beispielsweise kann ohne Probleme von dem Ort, an dem die Inschrift angebracht
wurde, fortgetragen werden. Doch auch die Inschriften auf festen Gegenständen, also Steinsetzungen, müssen nicht zwangsweise mit der Sprache des Fundortes übereinstimmen, etwa wenn der
Runenritzer nicht aus dieser Gegend stammt. Diesen Fall haben wir beispielsweise auf der Felswand von Kårstad, auf der steht »ek aljamarkiz«, also »ich bin der aus einer anderen Mark«, sowie bei
den Runenfunden des angelsächsischen Futhorc, bei dem Pilger in graffitiähnlicher Manier – »N.N. war hier« – ihren Namen beispielsweise in Kirchenmauern schrieben. Diese Fälle sind allerdings
selten.
Seebold führt daher eine Kategorisierung ein, nach der Fundort und Sprachform mit unterschiedlicher Sicherheit einander entsprechen (»Fundort ist also mehr oder weniger gleich mit sprachlicher
Lokalisierung«):
- Sichere Entsprechung: Felswände und große Steine (»nicht transportierbare Inschriftenträger«).
- Wahrscheinliche Entsprechung: Grabfunde (abhängig allerdings davon, ob die Inschrift bei Grabbeilegung oder lange vorher angebracht wurde. Seebold unterscheidet außerdem bei Fibeln in Frauengräbern – wahrscheinliche Entsprechung – und bei Waffen in Männergräbern – weniger wahrscheinliche Entsprechung).
- Interpretationsbedürftige Entsprechung: Moorfunde (also Kriegsopfer oder Weihegaben: Hier stellt sich die Frage, ob die Inschrift vom früheren Träger, höchstwahrscheinlich Ortsfremder, oder von den Siegern, höchstwahrscheinlich Ortsansässige, stammt).
- Unsichere Entsprechung: Einzelfunde.
Zahl der Inschriften
Aufgrund der sich stetig vergrößernden Zahl von Runeninschriften, da jedes Jahr neue Objekte gefunden werden, ist dieser Artikel auf dem Stand des Veröffentlichungsdatums und kann jederzeit inaktuell werden. Meine Quellen sind zum Teil nochmals um einige Jahre älter, beim Abgleich mit neueren Quellen scheint sich allerdings nicht allzu viel getan zu haben.
Land | Völkerwanderungszeit (100-750) | Wikingerzeit (750-1125) | Mittelalter (1125-1500) |
Dänemark | 138 | 453 | 351 |
Norwegen | 69 | 138 | 1445 |
Schweden | 79 | 2923 | 660 |
Deutschland | 118 | ||
Belgien | 2 | ||
Bosnien | 1 | ||
Frankreich | 5 | ||
Italien | 1 | 2 | |
Niederlande | 3 | 15 | |
Polen | 8 | ||
Rumänien | 2 | ||
Schweiz | 1 | ||
Tschechien | 2 | ||
Ukraine | 1 | ||
Ungarn | 7 | ||
England | 90 | ||
Island | 100 | ||
Grönland | 100 | ||
Orkneys | 50 | ||
Färöer | 10 | ||
Irland | 20 |
Die meisten Runenfunde stammen aus Schweden (3600), wovon 2500 Steinsetzungen sind. Die runenreichste schwedische Gegend ist Uppland mit 1250 Inschriften, sehr viele Setzungen finden sich
außerdem auf Gotland (400).
In Norwegen gibt es 1600 Funde, wobei 600 mittelalterliche Inschriften allein aus dem Hafenviertel von Bergen, Bryggen, in Folge eines Großbrandes gezogen wurden.
An dritter Stelle steht Dänemark mit etwa 850 Inschriften.
Auf Island wurden überraschend wenig Runen gefunden, bedenkt man die häufige Erwähnung von Runen in der mittelalterlichen isländischen Literatur (Lieder-Edda, Sagas).
Es wurden etwa 110 Inschriften des angelsächsischen Futhorcs gefunden, wobei 90 aus England stammen und etwa 20 von Pilgern außerhalb Englands hinterlassen wurden.
10 Inschriften des älteren Futharks gehen auf die osteuropäischen Goten zurück.
Leichte Unterschide zwischen der Tabelle und den Gesamtzahlen im Fließtext liegen an den unterschiedlichen verwendeten Quellen und daran, dass einige Zahlen gerundet sind, diese Divergenzen sind
aber nur kleinen Ausmaßes.
Datierung
Die Erfindung der Runenschrift dürfte etwa im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung erfolgt sein (Düwel), Arntz setzt sie sogar im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung an.
Die Funde des älteren Futharks können von 200 bis etwa 750 unserer Zeitrechnung datiert werden: Danach setzen die Funde des jüngeren Futharks ein, selbstverständlich mit einer Übergangsphase, in
der sich Runen beider Reihen sogar auf selben Inschriftenträgern finden. Die Hochphase der Runennutzung spielt sich in Skandinavien ab, als die Runen in den anderen europäischen Ländern längst
ausgestorben oder eine Antiquität der Mönche geworden sind (England, Friesland, Deutschland, in letzterem endet das Schreiben mit Runen im 7. Jahrhundert). Dabei stammt die große Masse der
skandinavischen Inschriften aus einer Zeit, in der die Christianisierung bereits im vollen Gange ist.
Das jüngere Futhark verändert in den folgenden Jahrhunderten ein ums andere Mal seine Gestalt und wird bis ins späte Mittelalter verwendet, in der schwedischen Region Dalarna sogar bis ins 19.
Jahrhundert (etwa 350 Funde).
In Island setzt die Runentradition erst ab 1200 ein und dauerte wohl bis ins 17. Jahrhundert, ehe ihr gewaltsam ein Ende bereitet wurde. Ole Worm erzählt (aus isländischer Quelle), Menschen seien
als Hexen angeklagt worden, weil man Runen in ihrem Besitz gefunden hätte, 1626 wurden daraufhin 22 Personen verbrannt, 1639 die Benutzung von Runen endgültig verboten (Arntz, Elliott).
In Grönland wurden Runen bis ins 14. Jahrhundert verwendet.
Runenfunde des angelsächsischen Futhorc setzen etwa ab dem 5. Jahrhundert ein und werden bis ins 11. Jahrhundert verwendet.
Wissenschaftliche Möglichkeiten der Datierung der archaischen Runeninschriften
Laut Seebold gibt es drei unterschiedliche Möglichkeiten, eine Runeninschrift zu datieren:
- Archäologische Datierung: Gerade bei Grabfunden muss hier zwischen dem Zeitpunkt der Niederlegung und dem Zeitpunkt der Herstellung der Inschrift unterschieden werden.
- Runenformen: Es konnten einige Runenformen herausgearbeitet werden, anhand derer man gut beurteilen kann, wie alt die Runeninschrift an sich ist. Seebold unterscheidet an dieser Stelle in eine archaische (bis 400), eine klassische (bis etwa 500-600, bei Krause auch bis 750) und eine späte Stufe (bis 200 Jahre nach der klassischen, also zwischen 700 und 950). Diese Stufen variieren allerdings regional stark.
- Sprachliche Kriterien: Hierbei wird eine Inschrift anhand ihrer Sprache analysiert und eingeordnet. Es kann aber auch hier zu Fehleinschätzungen kommen, einerseits wegen der regionalen Unterschiede, andererseits auch wegen Archaismen (Verwendung alter, mittlerweile unüblicher Wörter).
Die archäologische Deutung übernehmen größtenteils Forscher aus einer anderen wissenschaftlichen Sparte, weshalb die Runologie auf Hilfe von außen angewiesen ist. Die Analyse der Sprache und der
Runenformen können die zeitliche Einordnung nicht so präzise eingrenzen.
Älteste Inschriften
Die womöglich ältesten Runenfunde stammen aus dem 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, allerdings ist nicht ganz geklärt, ob es sich bei den eingeritzten Zeichen tatsächlich um Runen handelt.
Dazu gehört einerseits die Keramikscheibe von Osterrönfeld sowie die Fibel von Meldorf (beide aus Schleswig-Holstein).
Die ersten Funde, bei denen es sich mit Sicherheit um Runen handelt, sind der Kamm von Vimose (Fünen, etwa 160 unserer Zeitrechnung) sowie die Lanzenspitze von Øvre Stabu (Oppland, 200 unserer
Zeitrechnung). Der Kamm gilt offiziell als ältester Fund.
Bei den ältesten Runenfunden handelt es sich samt und sonders um derart kleine und unscheibare Gegenstände (allesamt lose Funde). Der Fundort muss also nicht mit dem Herstellungsort
zusammenfallen, was die Frage nach den Ursprüngen der Runenschrift erschwert.
Als älteste Inschrift mit der gesamten Futhark-Reihe dagegen gilt die Grabsteinplatte von Kylver (Gotland, um etwa 400), während die älteste Steininschrift die Felsritzung von Kårstad um 200 sein
dürfte.
Material
Man unterscheidet zwischen losen Gegenständen (Waffen, Schmuck, Amulette, Münzen, Gebrauchsgegenständen) und Steinen. Der Unterschied beruht darauf, dass sich Steine im Gegensatz zu losen Dingen
nicht bewegen lassen und daher keine weiten Strecken zurücklegen können, was die Datierung in den meisten Fällen vereinfacht.
In der älteren Runenperiode wurden die Schriftzeichen auf Knochen und Holz geritzt, die Träger haben sich also nur unter bestimmten Voraussetzungen erhalten, etwa in Mooren. Im Mittelalter kommen
außerdem Manuskripte als Inschriftenträger hinzu.
Auf dem Festland überwiegen in der gesamten Verwendung der Runenschrift Fibeln als Inschriftenträger, außerdem Waffen, die allerdings im gesamtgermanischen Raum vorkommen. Die Steininschriften,
welche die Mehrzahl der Funde in Skandinavien, insbesondere in der jüngeren Runenperiode, ausmachen, fehlen auf dem Festland vollständig, während in Norwegen und Schweden bereits die ältesten
Funde mit Inschriften auf Steinen zusammenfallen. In England kommen Steinsetzungen erst später wieder auf, vermutlich nach skandinavischem Einfluss.
Quellen
- Arntz: Arntz, Helmut, Handbuch der Runenkunde, Edition Lempertz, Königswinter 2007 (1944).
- Düwel: Düwel, Klaus, Runenkunde, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart Weimar 2008.
- Elliott: Elliott, Ralph W. V., Runes. An Introduction, Manchester University Press St. Martin’s Press, New York, 1989 (1959).
- Krause: Krause, Arnulf, Runen, Marixverlag, Wiesbaden 2017.
- RGA: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd 25, Walter de Gruyter Verlag, Berlin & New York 2003.
- Nedoma: Nedoma, Robert, Schrift und Sprache in südgermanischen Runeninschriften, In: Ergänzungsbände zum RGA 51: Das Fuþark und seine einzelsprachigen Weiterentwicklungen, Hrsg: Beck, Heinrich, Geuenich, Dieter, Steuer, Heiko, Walter de Gruyter Verlag, Berlin & New York, 2003.
- Seebold: Seebold, Elmar, Die sprachliche Deutung und Einordnung der archaischen Runeninschriften, In: Ergänzungsbände zum RGA 10: Runische Schriftkultur in Wechselbeziehung, Hrsg: Düwel, Klaus, Walter de Gruyter Verlag, Berlin & New York, 1994.
- Runenprojekt Kiel: Webseite des Runenprojekts der Uni Kiel.
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