Neben der Lieder-Edda ist die Snorra-Edda das wichtigste Stück Literatur, das uns etwas über die nordische Mythologie geblieben ist. Aus inhaltlicher Sicht gibt es uns sogar mehr Informationen als die Texte der Lieder-Edda und erklärt einige Erzählungen, die in den Liedern nur bruchstückhaft angedeutet werden und ohne Snorri wohl nie verstanden werden könnten.
Snorri Sturluson wurde 1179 in Hvammur i Dölum auf Island geboren. Sein Vater gilt als Stammvater des Geschlechts der Sturlunger. Mit drei Jahren wurde Snorri auf den Hof Oddi in den Süden Islands geschickt, der zu dieser Zeit ein Kernpunkt isländischer Bildung, Wissenschaft und Kultur war. Durch seine Heirat 1199 gelangte Snorri zu einem größeren Vermögen, im Alter von 23 erbte er den Godentitel seines verstorbenen Schwiegervaters.
1218 begann Snorri auf Einladung des Königs Hákon Hákonarson seine erste Reise nach Norwegen und machte dort als Botschafter und Marschall Karriere. Gute zwanzig Jahre später, im Jahr 1239, ließ ihn ebendieser König jedoch ermorden, da er ihn des Landesverrats für schuldig erachtete.
Neben der Snorra-Edda gilt die Heimskringla ("Weltenkreis") als Snorris wichtigstes Werk. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von 16 Königssagas über norwegische Könige von der heidnischen Urzeit bis ins 12. Jahrhundert. Gleich am Anfang des Werkes steht die berühmte Ynglinga saga.
Auch bei der bekannten Egils saga geht ein Teil der Forschung davon aus, dass diese aus Snorris Feder stammt. Allerdings gibt es hierfür keine handfesten Beweise und die Vermutungen beruhen insbesondere auf stilistischen Ähnlichkeiten.
Der Zweck der Snorra-Edda liegt eigentlich darin, eine Anleitung für Skaldendichtung zu geben. Bei der Skaldik handelt es sich um eine alte Form der Dichtung, die äußerst strengen Normen unterliegt und sehr komplex ist. Mit seinem Buch wollte Snorri diese Dichtung vor dem Vergessen bewahren und erklärt darum, wie die wichtigsten Stilmittel funktionieren: die Kenningar und Heiti. Beide sind Umschreibungen für Namen oder Wörter und unterscheiden sich minimal und in Übersetzungen mitunter kaum ersichtlich. Da diese Umschreibungen klassischerweise auf der nordischen Mythologie beruhen, legt Snorri diese in einem Teil seiner Edda dar.
Vier Abschriften der Snorra-Edda sind uns geblieben, der Codex Upsaliensis (ca. 1300), der Codex Regius (ca. 1325), der Codex Wormianus (ca. 1350) sowie der Codex Trajectinus (16. bis 17. Jahrhundert). Selbst die älteste davon wurde erst etwa sechzig Jahre nach Snorris Tod verfasst - Snorris Original ist uns also nicht erhalten.
Snorris Autorenschaft wird einzig im Codex Upsaliensis erwähnt, eine Erschließung des Originals anhand dieser vier Schriften ist leider nicht möglich.
Die Snorra-Edda teilt sich in vier unterschiedliche Abschnitte: ein Prolog, die Gylfaginning, die Skáldskarpamál und das Háttatal. In den vier überlieferten Schriften der Snorra-Edda finden sich nicht immer alle Teile. Manchmal sind dagegen weitere Schriften hinzugefügt (die sogenannten grammatischen Traktate zum Beispiel).
Im Prolog vollführt Snorri das Kunststück, die Existenz der nordischen Götter nicht völlig ad absurdum zu führen, sondern ordnet sie dem christlichen Glauben unter, indem er die Götter als herausragende Menschen darstellt, die in ihrer Göttlichkeit fehlinterpretiert wurden.
Die Gylfaginnig erzählt von Gylfi, der drei Götter trifft und diese über den heidnischen Glauben ausfragt. Hierbei werden besonders viele Informationen der nordischen Mythologie dargelegt.
Die Skáldskarpamál konzentriert sich besonders auf die Technik der Skaldik. Anhand vieler Beispiele von verschiedenen Skalden erklärt Snorri, wie Kenningar gebildet werden und geht dabei immer wieder auf verschiedene Mythen ein, die als Basis einer Kenning gelten.
Das Háttatal am Ende ist ein großes Beispielgedicht (ein Preisgedicht auf Jarl Skúli und König Hákon), in dem in 102 Strophen 100 verschiedene Versarten, dargelegt werden. Aufgrund der großen Komplexität von Inhalt und vor allem Form wird das Háttatal in kaum einer Übersetzung der Snorra-Edda wiedergegeben.