Gastartikel: Die Rückkehr der Stämme - Vorwort

Von Askatasuna

Vorwort

Nun sind dreißig Jahre vergangen, seit erstmals deutsche Ásatrú-Gemeinschaften in Erscheinung getreten sind. [1] Zwar entstanden Organisationen, die für die „Rückkehr der Götter“ Vorbereitungen trafen, aber bis heute gibt es keinen echten Ásatrú-Kult. Es ist diese Kritik, die Eichenstamm und mich eint, und sie wird im Zentrum dieses Mehrteilers stehen. Ich will es auf den Punkt bringen, bevor ein Salto auf den anderen folgt: Uns fehlt ein mystischer Zugang zur Ásatrú – ein echter Götterkult. Wir sind weit davon entfernt, weil es uns trotz Jahrzehnten der Diskussion an Theorie und Praxis fehlt. Weder nimmt uns die säkulare Gesellschaft, noch nehmen wir uns selber ernst.

 

Ganz im Sinne des Zeitgeists tummeln sich Individualisten in unserem Milieu: Jeder tradiert die wenigen Bruchstücke der germanischen Geschichte selbst. Was einerseits Freiheit in der eigenen Spiritualität bedeutet, droht zugleich Todesurteil einer gemeinsamen Souveränität zu sein: In der neuheidnischen Bewegung steht nicht der Ritus im Mittelpunkt, sondern die Diskussionen um Esoterik, Extremismus und Ökologie. Wir entwickeln und etablieren nicht spirituelle Übungssysteme, die uns rituell ins Unbekannte hinauskatapultieren, sondern verstricken uns in Debatten über unsere eigene Unsicherheit: Ist die Art, wie wir das Heidentum sehen und leben, eben jene, die historisch realistisch ist? Steht das, was wir hier machen, wirklich auf dem Fundament einer Tradition – oder ist es Spinnerei? Wie geht man das Opfern, das Anrufen, die „Kontaktaufnahme“ an?

Es sieht so aus, als hätten wir keine Ahnung, wie das „Projekt Ásatrú“ zu realisieren sei; beachtet man das kulturelle Geflecht, in dem wir geboren und erzogen worden sind, wohnt unserer Konzeptlosigkeit vielleicht sogar eine zutiefst beunruhigende Frage bei: Sind wir wirklich spirituell Suchende – oder verkappte Nostalgiker, die nicht wahrhaben können, dass Vergangenes vergangen ist?

 

Ich stelle die These auf, dass uns vor allem eine Ästhetik des Ritus fehlt. Nicht der historische Klärungsprozess sollte im Zentrum unserer Szene stehen, sondern der direkte, kultische Kontakt zum germanischen Gott. Es ist seltsam, diese Botschaft überhaupt an eine spirituelle Bewegung zu adressieren. *

Nur kommen wir eben nicht weiter: Wir haben noch immer keine nennenswerten Kultstätten; die Initiationskraft unserer Szene – den Einzelnen also in das gemeinsame Projekt Ásatrú miteinzubeziehen – ist mindestens mäßig; ich finde sie schwach. Es gibt keine ernstzunehmenden Projekte, an denen der Neuheide des Informationszeitalters teilnehmen kann, ohne sich insgeheim komisch zu fühlen. Wer sich Videos neuheidnischer Rituale auf Youtube ansieht, wird nicht ergriffen, sondern peinlich berührt. Was also ist unser Problem?

Ich behaupte: Ein echtes Verständnis für den gewaltigen Abstand, der uns von unseren Ahnen trennt. Wir benötigen einen eigenen Kult, der die vergangenen eintausend Jahre integriert, statt ignoriert; doch im Augenblick scheint ein solcher kaum vorstellbar. Und obwohl die folgenden Zeilen vieles sehr scharf kritisieren werden, was von vorherrschenden Strömungen in der Ásatrú geheiligt und verteidigt wird – ich nehme bewusst eine radikale Perspektive ein –, habe ich sie doch voller Respekt vor allen gläubigen Ásatrúar verfasst.

* Sofern Ásatrú das überhaupt noch für all seine Anhänger ist, wie etwa für diejenigen, die den Germanen jedwede Metaphysik absprechen. Die Germanen glaubten demnach nicht an eine göttliche Übernatur, sondern die Götter seien immanente Stellvertreter der Naturkräfte gewesen, mit denen es im Einklang zu leben galt.



Quellen

[1] Vgl. Vollertsen, Lars Erik: „Ausdifferenzierungsprozesse im germanischen Heidentum am Beispiel des Eldaring e.V.“ In: http://www.firne-sitte.net/ausdifferenzierungsprozesse.html (zuletzt abgerufen am 09.08.2018).

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