Mittlerweile gibt es von der Lieder-Edda eine ganze Menge an Übersetzungen. Die Übersetzung der Lieder entpuppt sich allerdings als schwierig, da nur schwerlich Inhalt der Strophen und Versmaß (Rhythmus, Alliteration, ggf. Reime) übertragen werden können - vor allem nicht alles zusammen. Aus diesem Grund muss jeder Übersetzer die Entscheidung treffen, ob sich sein Text eher am Rhythmus oder am Inhalt des Originals orientieren möchte. Das jeweils andere wird zwangsweise vernachlässigt und somit kann eine jede Übersetzung nur in Ansätzen wiedergeben, was das Original als Gesamtkunstwerk darstellt.
Ich lasse die Übersetzungen unkommentiert, kann aber nur dazu auffordern, sich insbesondere den letzten Vers der Hávamál-Strophe 77 genau anzusehen.
Am Ende findet sich eine Auflistung der Liederreihenfolge, zu welcher sich die jeweiligen Autoren - meist abweichend vom Original - entschieden haben.
Vǫluspá 45
Codex Regius, 13. Jahrhundert
Bræðr munu berjaz
ok að bönum verða,
munu systrungar
sifjum spilla;
hart er í heimi,
hórdómr mikill,
skeggöld, skálmöld,
skildir ru klofnir,
vindöld, vargöld,
áðr veröld steypiz;
mun engi maðr
öðrum þyrma.
Simrock, 1851
Strophe 45:
Brüder befehden sich und fällen einander,
Geschwister sieht man die Sippe brechen.
Der Grund erdröhnt, üble Disen fliegen;
Der eine schont des andern nicht mehr.
Strophe 46:
Unerhörtes ereignet sich, großer Ehbruch.
Beilalter, Schwertalter, wo Schilde krachen,
Windzeit, Wolfszeit, eh die Welt zerstürzt.
Gering, 1892
Es befehden sich Brüder und fällen einander,
die Bande des Bluts brechen Schwestersöhne;
arg ist's in der Welt, viel Unzucht gibt es -
Beilzeit, Schwertzeit, es bersten die Schilde,
Windzeit, Wolfszeit, eh' die Welt versinkt -
nicht einer der Menschen wird den andern schonen.
Genzmer, 1933
Brüder kämpfen
und bringen sich Tod,
Brudersöhne
brechen die Sippe;
arg ist die Welt,
Ehbruch furchtbar,
Schwertzeit, Beilzeit,
Schilde bersten,
Windzeit, Wolfzeit,
bis die Welt vergeht -
nicht einer will
des andern schonen.
Häny, 1992
Brüder schlagen dann,
morden einander;
Schwestersöhne
verderben Verwandtschaft;
wüst ist die Welt,
voll Hurerei; 's ist
Beilzeit, Schwertzeit,
zerschmetterte Schilde,
Windzeit, Wolfszeit,
bis einstürzt die Welt -
nicht ein Mann will
den anderen schonen.
Krause, 2006
Brüder werden gegeneinander kämpfen
und sich den Tod bringen,
Schwesternsöhne werden
die Verwandtschaft zerbrechen;
schlimm ist's in der Welt,
viel Ehebruch,
Axtzeit, Schwertzeit,
gespaltene Schilde,
Windzeit, Wolfszeit,
bis die Welt zu Grunde geht;
kein Mann wird
den andern schonen.
Orchard, 2011
Brothers will struggle and slaughter each other,
and sisters' sons spoil kinship's bonds.
It's hard on earth: great whoredom;
axe-age, blade-age, shields are split;
wind-age, wolf-age, before the world crumbles:
no one shall spare another.
Hávamál 76 und 77
Codex Regius, 13. Jahrhundert
76.
Deyr fé,
deyja frændur,
deyr sjálfur ið sama.
En orðstír
deyr aldregi
hveim er sér góðan getur.
77.
Deyr fé,
deyja frændur,
deyr sjálfur ið sama.
Eg veit einn
að aldrei deyr:
dómur um dauðan hvern.
Simrock, 1851
Das Vieh stirbt, die Freunde sterben,
Endlich stirbt man selbst;
Doch nimmer mag ihm der Nachruhm sterben,
welcher sich guten gewann.
Das Vieh stirbt, die Freunde sterben,
Endlich stirbt man selbst;
Doch eines weiß ich, das immer bleibt:
Das Urteil über den Toten.
Gering, 1892
Es stirbt das Vieh, es stirbt die Verwandtschaft,
auch dich trifft der Tod;
doch nimmer kann der Nachruf sterben,
den löbliches Leben schuf.
Es stirbt das Vieh, es stirbt die Verwandtschaft,
auch dich trifft der Tod;
doch eins weiß ich, das ewig lebt:
der Ruhm, den der Tote errang.
Genzmer, 1933
Besitz stirbt, Sippen sterben,
du selbst stirbst wie sie;
doch Nachruhm stirbt nimmermehr,
den der Wackre gewinnt.
Besitz stirbt, Sippen sterben,
du selbst stirbst wie sie;
eins weiß ich, das ewig lebt:
des Toten Tatenruhm.
Häny, 1992
Es stirbt Besitz,
Verwandte sterben,
du selber stirbst einst ebenso;
jedoch der gute
Ruf und Ruhm
stirbt nie, den einer erlangt hat.
Es stirbt Besitz,
Verwandte sterben,
du selber stirbst einst ebenso;
jedoch der gute
Ruf und Ruhm
stirbt nie, den einer erlangt hat.
Krause, 2006
Vieh stirbt,
Verwandte sterben,
man selbst stirbt ebenso;
aber der Ruf
stirbt niemals dem,
der sich guten erwirbt.
Vieh stirbt,
Verwandte sterben,
man selbst stirbt ebenso;
ich weiß eines,
das niemals stirbt:
das Urteil über jeden Toten.
Orchard, 2011
Cattle die, kinsmen die,
oneself dies just the same.
But words of glory never die
for the one who gets a good name.
Cattle die, kinsmen die,
oneself dies just the same.
I know one thing that never dies:
the judgement on each one dead.
Reihenfolge der Götterlieder
Codex Regius, 13. Jahrhundert
Vǫluspá
Hávamál
Vafþrúðnísmál
Grímnismál
Fǫr Skírnis/Skírnismál
Hárbarðsljóð
Hymskviða
Lokasenna
Þrymskviða
Vǫlundarkviða
Alvíssmál
Simrock, 1851
Vǫluspá
Grímnismál
Vafþrúðnísmál
Fǫr Skírnis/Skírnismál
Hárbarðsljóð
Hymskviða
Þrymskviða
Alvíssmál
Hávamál
(Lokasenna in Ausgabe nicht enthalten)
Gering, 1892
Vǫluspá
Þrymskviða
Hymskviða
Lokasenna
Hárbarðsljóð
Fǫr Skírnis/Skírnismál
Vafþrúðnísmál
Grímnismál
Alvíssmál
Hávamál
(Vǫlundarkviða den Heldenliedern zugeordnet)
Genzmer, 1933
Þrymskviða
Hymskviða
Fǫr Skírnis/Skírnismál
Vǫluspá
Lokasenna
Hárbarðsljóð
Grímnismál
Vafþrúðnísmál
Alvíssmál
Hávamál
(Hávamál aufgeteilt in folgende Einzelteile:
Loddfáfnismál
Das dritte Sittengedicht
Einzelstrophen und Splitter
Priameln
Die Odinsbeispiele
Die Geizhalsstrophen
Allerlei Runenweisheit
Odins Runengedicht/Rúnatal
Die Zauberlieder/Ljóðatal)
Häny, 1992 und Orchard, 2011
Vǫluspá
Hávamál
Vafþrúðnísmál
Grímnismál
Fǫr Skírnis/Skírnismál
Hárbarðsljóð
Hymskviða
Lokasenna
Þrymskviða
Vǫlundarkviða
Alvíssmál
Krause, 2011
Vǫluspá
Hávamál
Vafþrúðnísmál
Grímnismál
Fǫr Skírnis/Skírnismál
Hárbarðsljóð
Hymskviða
Lokasenna
Þrymskviða
Alvíssmál
(Vǫlundarkviða den Heldenliedern zugeordnet)
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